In Zeiten von Corona: Depressionen, Essstörungen und körperliche Veränderungen – Tipps zum Umgang mit psychischen Belastungen

Jeder von uns erlebt die aktuellen Umstände auf unterschiedliche Weise als herausfordernd. Für jemanden wie mich, der jahrelang unter einer Essstörung und Depression litt, kann ich annähernd nachempfinden, welche zusätzlichen Herausforderungen die Corona Krise für diejenigen mit sich bringt, die unter einer psychischen Erkrankung leiden.

Unsicherheiten, Isolation soziale Distanz, fehlende Routinen und mehr Zeit in den eigenen vier Wänden. All das sind nur einige Aspekte, mit denen nicht nur Betroffene, sondern wir alle konfrontiert werden. All das hat Auswirkungen auf unser Wohlbefinden.

Für Betroffene können zusätzlich Belastungen wie Isolation, die Angst vor dem Essen und mangelnder Bewegung, eine Veränderung der eigenen Körperwahrnehmung, Stress und Ängste durch die beschränkte Auswahl von Lebensmitteln beim Einkauf und depressive Verstimmungen hinzukommen.

Da ich mittlerweile sowohl Essstörung als auch Depression erfolgreich bewältigen konnte, habe ich einige Tipps und Anregungen zusammengestellt, die mir persönlich in herausfordernden Situationen geholfen haben.

Dieser Beitrag richtet sich an Betroffene, Angehörige und an diejenigen, die gerade Einsamkeit und Überforderung empfinden. Wichtig: Ich ersetze keine therapeutische Hilfe. Was ich hier mit euch teile, sind meine persönlichen Erfahrungen. Solltet ihr euch in einer schweren Krise befinden, dann bitte ich euch, professionelle Hilfe heranzuziehen.

1) Essstörungen & Essen.

Auch wenn sich die Umstände gerade ändern: es ist wichtig regelmäßige Mahlzeiten einzunehmen. Unabhängig davon, was gerade um einen herum passiert.

Unabhängig davon, wie viel man sich bewegt oder nicht bewegt. Unabhängig davon, was man am Tag zuvor gegessen hat. Essen ist bedingungslos.

Wenn es euch schwer fällt, Mahlzeiten alleine zuzubereiten und zu essen, verabredet euch mit Freunden oder Familienmitgliedern via FaceTime zum gemeinsamen Kochen und Essen.

Versucht die aktuelle Lage als Chance wahrzunehmen, aus eurer Komfortzone zu treten und neue Gewohnheiten zu entwicklen.

Die Gewohnheit, immer und ausreichend zu essen und nicht zu verzichten. Die Gewohnheit, einen gesunden Umgang mit neuen Situationen zu entwickeln. Die Gewohnheit, gut zu sich selbst zu sein. Weil DU es wert bist.

Wird das einfach? Nein. Aber es wird mit der Zeit leichter. Denn je öfter wir uns ungewohnten und herausfordernden Situationen stellen, desto „alltäglicher“ erscheinen sie uns mit der Zeit.

Und wenn es mal nicht so klappt, wie ihr es euch vorstellt, dann verurteilt euch nicht. Ich kann euch gar nicht aufzählen, wie oft ich mit meinen Vorhaben auf die Nase gefallen bin.

Wie oft ich doch gekniffen habe, obwohl ich es mir fest vorgenommen hatte. Wie oft ich von mir selbst enttäuscht war, weil es mir noch immer schwer fiel.

Verurteilt euch nicht. Es muss nicht immer alles auf Anhieb gut laufen.

2) Bewegungsdrang.

Essstörungen sind häufig mit einem Bewegungsdrang verbunden. Dahinter können die unterschiedlichsten Sorgen und Ängste stecken: Bewegung, um ohne schlechtes Gewissen sitzen zu können.

Bewegung, um Kalorien zu verbrennen. Bewegung, um mir mein Essen zu verdienen. In Zeiten von Corona kann sich der Bewegungsdrang verstärken.

Gleichzeitig bietet diese Zeit die wertvolle Chance zu lernen, dass man sich das Essen nicht erst durch Bewegung verdienen muss und dass absolut nichts schlimmes passiert, wenn man sich mal weniger bewegt.

Was mir gegen den Bewegungsdrang geholfen hat:

  • Verstehen, was hinter der Angst steckt.
  • Der Weg aus der Angst führt durch die Angst. In meinem Fall: ich musste lernen, dass nichts schlimmes passiert, wenn ich mich nicht bewege. Ich musste lernen, dass ich immer (!) genug essen darf und muss. Ich musste lernen, was Balance bedeutet.

Was ich euch ans Herz legen möchte:

  • Immer das Gegenteil dessen tun, was euch gerade schadet. Tief im Herzen kennt man seinen Weg – oder zumindest den Weg, den man nicht gehen sollte.
  • Eigene Erfahrungen sammeln. Ängste verschwinden meist nicht einfach so. Oft hilft es, sich ihnen bewusst zu stellen, um dann festzustellen: es ist gar nicht so schlimm. Und wenn man dazu ein paar Anläufe braucht, ist das ok. Be kind to yourself.

3) Zunehmen & Körperliche Veränderungen.

Über diesen Punkt könnte ich ein ganzes Buch schreiben, aber ich versuche mich hier kurz zu halten. Auf dem Weg aus einer Essstörung sind körperliche Veränderungen nicht zu vermeiden.

Und diese Tatsache anzunehmen und zu akzeptieren, ist eine enorme psychische Belastung und häufig ein langer und schwerer Prozess.

Denn es bedeutet auch, einen Teil der Essstörung loszulassen. Für Außenstehende klingt es völlig absurd und ist absolut nicht nachvollziehbar, dass man Angst hat, die Essstörung loszulassen.

In meinem Fall steckten Ängste wie „Ohne meine Essstörung bin ich wertlos. Wer bin ich ohne Essstörung? Was füllt mein Leben dann noch aus? Was erwartet mich danach?“ dahinter.

Für Betroffene bedeutet dieser Schritt häufig an, auch einen Teil seiner Selbst und seiner Identität loszulassen und einen Schritt in eine dunkle Unsicherheit zu gehen. [Ich kann euch versprechen, dass es sich lohnt loszulassen – egal wie viel Angst und wie viele Sorgen dahinter stecken. Sie sind unbegründet. Es wartet viel Lieben und viel Licht auf euch. Auch ohne Essstörung.].

Es ist wichtig zu verstehen, dass man eine Essstörung nur dann komplett loslassen kann, wenn man auch akzeptieren kann, dass sich der eigene Körper im Laufe des Lebens verändern kann und wird.

Das bedeutet nicht, dass man dick wird. Es bedeutet, dass der Körper lebt.

Der Körper ist nicht dazu gemacht, für immer in ein und demselben Zustand zu bleiben. Veränderungen kommen und gehen und nichts ist für die Ewigkeit.

Jede Lebensphase bringt Veränderungen mit sich und es gehört dazu, dass auch der Körper sich dabei verändert. Es hilft, das ganze anzunehmen und nicht dagegen anzukämpfen.

Es wird besser. Es wird einfacher.

Und was das Zunehmen betrifft: diese Angst kann ich euch nicht nehmen. Ja, es ist unangenehm. Ja, man hat manchmal das Gefühl, dass man nie im reinen mit sich selbst sein wird.

Aber auch DAS wird vorbeigehen. Dranbleiben und nicht aufgeben zahlen sich früher oder später immer aus. Und wenn man ganz ehrlich zu sich selbst ist: der andere Weg hat dich auch nicht wirklich glücklich gemacht, oder?

„Your body is meant to change. It’s not a photograph or an ornament. Your body is warm, dynamic and alive. Your heart beats, your lungs breath. Your body constantly responding and shifting to your internal and external worlds. Change is a sign of life.“ – A.B.

4) Isoliere dich nicht.

Besonders in Zeiten, in denen man sich psychisch nicht gut fühlt, neigt man dazu sich zurückzuziehen. Manchmal ist das der richtige Weg.

Es tut hin und wieder gut, sich für einige Momente von der Außenwelt zurückzuziehen und ganz bei sich zu sein. Aber manchmal ist Isolation genau das, was die Situation nur schlimmer macht.

Wenn Isolation gerade etwas ist, was euch nicht gut tut, dann geht auf andere zu. Es geht nicht darum, in diesen Augenblicken über seine Gefühle und Gedanken zu sprechen, sondern sich nicht von der Welt abzukapseln und in einen dunklen und einsamen Strudel zu geraten.

Oft genügt schon die Anwesenheit einer anderen Person. Und das geht, aktuell zu Corona Zeiten, auch über Anrufe, Social Media, FaceTime, WhatsApp, und und und.

Ich weiß, dass das Zugehen auf andere meist eine enorme Überwindung ist. Man neigt dazu, sich selbst klein zu reden, möchte keine Belastung darstellen oder fühlt sich nicht wichtig genug.

Ja, es kostet Überwindung auf andere zuzugehen. Zu sagen „Hey, mir geht es gerade nicht so gut.“ oder „Hast du gerade Zeit für mich?“.

Es ist immerhin viel leichter etwas zu überspielen. Aber das ist nicht der richtige Weg. Aus meiner heutigen Perspektive kann ich sagen: Unserem Umfeld ist es oft gar nicht bewusst, dass es uns gerade nicht gut geht und wir jemanden an unserer Seite brauchen.

Meistens wissen sie selbst nicht so genau, wie sie mit anderen umgehen sollen. Konkret nachfragen oder doch lieber abwarten?

Auch unser Umfeld möchte nur das Beste für uns und versteht unsere Lage häufig nicht. Und das sollten wir ihnen auch nicht vorwerfen.

Es kostet Mut und Überwindung. Aber es lohnt sich den ersten Schritt zu gehen.

Bitte haltet euch immer vor Augen: Du bist keine Belastung. Du bist wichtig. Du wirst gebraucht. Du wirst geliebt. Und dir wird zugehört.

5) Positive Bewältigungsmechanismen und Ablenkung.

Hierbei geht es nicht darum etwas zu verdrängen, sondern darum, einen gesunden Umgang mit kritischen Situationen zu entwickeln. Beschäftigungen und Ablenkungen können dabei helfen und beruhigend wirken.

Manchmal ist es einfach wichtig, Abstand zu gewinnen, um sich später, mit klarem Kopf und möglicherweise auch neuen Sichtweisen, mit seinen Gefühlen und Gedanken auseinanderzusetzen.

Mögliche Beschäftigungen:

  • Journaling und Dankbarkeitslisten führen
  • Mediation und Atemübungen
  • Yoga
  • ein Buch lesen oder ein Hörbuch hören
  • eine Komödie ansehen
  • Aufräumen, Putzen oder Aussortieren
  • Malen, Basteln oder ein Puzzle
  • DIY-Projekte wie ein Mood Board oder Vision Board
  • (…)

Es kann helfen, einige dieser Dinge in seine tägliche Routine einzubauen. Wo wir schon zum nächsten Punkt kommen.

6) Tägliche Routinen und Strukturen.

Essstörungen gehen häufig mit depressiven Verstimmungen einher. Aus diesem Grund greife ich diesen Aspekt auf.

Es ist wichtig zu wissen, warum man morgens die Augen öffnet und aufsteht. Dieses „Warum“ zu finden ist nicht immer leicht.

Im besten Fall kommt das Warum von innen: du öffnet morgens für dich die Augen. Weil du das Leben liebst.

Manchmal fühlt man es aber nicht und das Leben fühlt sich schwer und leer zugleich an. In solchen Zeiten haben mir tägliche Routinen und Aufgaben geholfen.

Morgenroutine. Eine Morgenroutine kann dabei helfen, nicht „leer“ in den Tag zu starten. Erste Erfolgserlebnisse am Morgen.

Das tut gut. Eine Morgenroutine kann beispielsweise wie folgt aussehen: in ein Tagebuch schreiben, um seinen Gedanken Raum zu geben, Yoga und Meditation aber auch ein ausgewogenes Frühstück mit einer warmen Tasse Tee oder Kaffee.

Gestaltet euch den Start und den Tag so schön und positiv wie möglich.

Arbeitsblöcke. Wenn man bestimmte Dinge zu erledigen hat, kann es helfen, diese in zeitlich begrenzte Blöcke zu unterteilen. Damit verhindert man ein „Überarbeiten“ aber auch Frustration.

Die Aussicht auf 45 oder 60 Minuten arbeiten ist doch viel motivierter als die Vorstellung, sich die nächsten 2 oder 3 Stunden mit einer Sache zu beschäftigen, oder?

Setzt euch also zeitlich begrenzte Arbeitsblöcke und nehmt euch dazwischen Zeit für eine kurze Pause.

Pausen. Viel von uns lieben es, den Tag zu strukturieren und To Do’s einzuplanen. Dabei vergessen wir meist das wichtigste: uns selbst.

Plant also feste Pausen für euch selbst ein: für Mahlzeiten, zur Entspannung oder Zeit für Self-Care.

Flexibilität. Wir sind menschlich. Und daher können sich auch unsere Bedürfnisse je nach körperlicher und psychischer Lage ändern.

Nehmt euch Zeit für das, was euch in diesem Augenblick gut tut.

Frische Luft. Frische Luft macht den Kopf klar. Egal ob ein Spaziergang an der Natur oder mal bei offenem Fenster an der Fensterbank. Selbst 5 Minuten können wahre Wunder bewirken.

Abendroutine. Neben einer schönen Morgenroutine kann auch eine entspannte Abendroutine zum psychischen Wohlbefinden beitragen.

7) Stopp: Überfordere dich nicht!

Routinen und Strukturen sind in Zeiten, in denen wir uns einsam und verloren fühlen wichtig. Neben unseren täglichen Aufgaben gehören aber auch Phasen der Entspannung dazu.

Es geht nicht darum, sich von einer Aufgabe in die nächste zu stürzen, sondern eine gesunde Balance zu entwickeln.

  • Überfordere dich nicht. Das führt nur zur Frustration. Gehe jede Aufgabe Schritt für Schritt an.
  • Nimm dir einen Moment, um stolz auf dich zu sein und feiere deine kleinen und doch so großen Erfolge!
  • Verurteile dich nicht, wenn etwas mal nicht klappt! Es gibt ein nächstes Mal:-).

8) Deine Gefühle sind berechtigt.

Egal was du fühlst: es hat in dem Augenblick seine Berechtigung. Ich weiß, dass man schnell dazu neigt, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln, weil man fühlt was man fühlt.

Was wiederum noch mehr negative Gefühle hervorruft. Ein Teufelskreislauf.

Lasst mich euch daran erinnern: eure psychische Gesundheit zählt und ist wichtig. Auch in Zeiten von Corona. Ganz besonders in Zeiten von Corona.

  • Lass dir von niemanden einreden, dass du nicht fühlen darfst, was du gerade fühlst. Das hier ist kein Wettbewerb darüber, wer es „besser“ und wer es „schlechter“ hat als alle anderen,
  • Jeder erlebt die aktuellen Umstände auf seine Weise. Der eine empfindet mehr Ängste, Sorgen oder Überforderung als der andere. Das ist okay.
  • Jeder geht mit den aktuellen Umständen anders um. Keiner ist deswegen der „stärkere“ oder „schwächere“.

9) Zum Abschluss: Erinnerungen, für schwere Momente.

Du bist nicht allein.

Fokussiere dich auf das hier und jetzt und darauf, was in diesem Moment zählt.

Fokussiere dich auf das was du hast und nicht darauf, was dir fehlt.

All das geht vorbei und bessere Zeiten werden kommen.

Du wirst das überstehen.

YOUR MENTAL HEALTH MATTERS.

#atempausemitanja

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